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Selbstoptimierung oder die Angst, einfach nur Mensch zu sein

Titelbild des Buches «Why do I feel like this?» von Yoshitake Shinsuke
Titelbild des Buches «Why do I feel like this?» von Yoshitake Shinsuke


Im Zeitalter der Selbstoptimierung steht vor allem eins im Mittelpunkt: man oder frau selbst. Klar – das eigene Potenzial will ausgeschöpft werden, man möchte besser, schneller, effizienter, gesünder sein. Im Grunde: perfekt. Doch halt – warum eigentlich dieser Perfektionsdrang? Woher kommt diese Verbissenheit?


Zwei Punkte lohnen sich in diesem Zusammenhang genauer zu betrachten: Erstens die alltäglichen «Probleme», die das Leben ganz einfach so mit sich bringt. Für viele Selbstoptimierer sind diese jedoch keine Herausforderungen zur persönlichen Weiterentwicklung, sondern lästige Störfaktoren auf dem Weg zur Perfektion. Zweitens der ständige Vergleich mit anderen. Mit diesen «nervigen Mitmenschen», die ebenfalls durch den Alltag stolpern und ihre kleinen und grossen Kämpfe austragen. Anstatt zu erkennen, dass wir alle mit ähnlichen Hürden zu kämpfen haben, glauben Hardcore-Optimierer, sie könnten sich durch übermenschliche Effizienz und Disziplin vom Rest der Welt abheben.


Kürzlich fiel mir ein einfaches, aber erstaunlich tiefgründiges Bilderbuch in die Hände. Geschrieben hat es Yoshitake Shinsuke, ein japanischer Autor und Illustrator. Der Titel des auch in englischer Sprache erschienenen Werkes lautet: «Why do I feel like this?» Trotz seiner scheinbaren Schlichtheit steckt darin ein grosser psychologischer Kern.


Wer japanische Kultur kennt, weiss: Dieses Land hat ein feines Gespür für die Komplexität des Menschseins. Oft denkt man bei «Psychologie und Japan» an Zen-Buddhismus und Achtsamkeit, an Kintsugi, das Reparieren von Zerbrochenem mit Gold – als schöne Metapher für den Umgang mit der der eigenen Verletzlichkeit – oder an Wabi-Sabi, ein Konzept, das die Schönheit des Unvollkommenen feiert.


Yoshitake Shinsuke geht einen anderen Weg. Weder westlich-psychologisch im Sinne Freuds (der übrigens auch in Japan grossen Einfluss hatte), noch rein traditionell-japanisch.Im Mittelpunkt seines Buches steht ein Mädchen, das feststellt: Da gibt es Dinge im Alltag, die sie nerven. Zunächst kreisen die negativen Gedanken bei ihr im Kopf, und sie beginnt an sich zu zweifeln. Doch dann erkennt sie: Auch andere Menschen tragen ähnlich Belastendes mit sich herum. Sogar die Erwachsenen! Selbst die, von denen sie dachte, sie hätten alles im Griff, kämpfen zum Beispiel mit «nervigen Leuten».


Diese Erkenntnis – dass alle Menschen ähnliche Sorgen, Zweifel und Reibungspunkte erleben – hilft dem Mädchen, sich wieder besser im Leben zurechtzufinden.


Und was lernen wir daraus im Hinblick auf Selbstoptimierung?


Vielleicht ist es an der Zeit, diesen Begriff zu denken. Weniger als einsames Streben nach Vollkommenheit, sondern mehr als Teil eines gemeinsamen menschlichen Weges. Denn hinter dem exzessiven Optimierungswahn steckt vielleicht vor allem eins: die Angst, einfach nur Mensch zu sein.

 
 
 

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